Offener Brief „Bildung darf nicht flüchten“

DER OFFENE BRIEF KANN HIER UNTERSCHRIEBEN WERDEN!

Eine Kurzfassung des Offenen Briefs finden Sie hier.

Dezember 2020

Bildung darf nicht flüchten!

Offener Brief von Wissenschaftler*innen an österreichischen Hochschulen, Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen an die (österreichische) Zivilgesellschaft

Inmitten der Herausforderungen einer Pandemie mag es „gegen den Trend“ erscheinen, das Thema Flucht und den Umgang mit geflüchteten Menschen in Erinnerung zu rufen. Doch gerade in dieser Zeit ist es wichtig, als Europäer*innen und engagierte Zivilbevölkerung füreinander einzustehen. Solidarität bedeutet auch, sich mit vulnerablen Gruppen verbunden zu zeigen und die humanitäre Krise für vor Krieg und Krisen flüchtende Menschen nicht länger einfach hinzunehmen. Zu oft wird in Europa lediglich debattiert, wie viele und welche Menschen geduldet werden könnten: Sofern eine Aufnahme überhaupt angedacht wird, wird vor allem über Kinder und Jugendliche verhandelt, nicht aber über alle anderen Menschen, die ebenfalls dringend Unterstützung benötigen. Als Bildungswissenschaftler*innen und als Mitwirkende an einer engagierten Zivilgesellschaft sehen wir uns dazu aufgefordert, zur Situation Stellung zu beziehen. 

Wir erkennen die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft und stellen deshalb unsere Expertise gezielt zur Verfügung. Hierzu zählt Fachwissen in gesellschaftspolitisch zentralen Bereichen wie Bildung, Sprachaneignung und Sozialpolitik, aber auch im psychosozialen Bereich und in der nachhaltigen Entwicklung.

Bestandsaufnahme: 

•          Viele geflüchtete Menschen mussten im Zuge ihrer Flucht Ausbildungen an Schulen, Betrieben oder Hochschulen abbrechen. Sie erhalten häufig keine ausreichenden Möglichkeiten, an die bereits erworbenen Kompetenzen anzuknüpfen. Zudem belegen aktuelle Zahlen, dass immer noch viele Kinder in „Flüchtlingslagern“ nicht unterrichtet werden, was Bildungsmöglichkeiten und Übergänge in weiterführende Institutionen nachhaltig erschwert oder sogar verhindert. Diese gegenwärtige Vernachlässigung macht zukünftige prekäre Lebensumstände wahrscheinlicher, die an nachfolgende Generationen weitergegeben bzw. vererbt werden. Dieser Umstand ist menschenrechtlich und pädagogisch besorgniserregend. Kindern, Jugendlichen und deren Familien, die in diesen Flüchtlingslagern leben, muss ein Zugang zu angemessener und qualitativ hochwertiger Bildung ermöglicht werden.

•          Kinder und Jugendliche erleiden aufgrund von Krieg und Verfolgung häufig Traumata, mit denen sie nicht allein gelassen werden dürfen. Fehlende (Aus-)Bildungsangebote bedeuten auch, dass den in Flüchtlingslagern lebenden Kindern bzw. Jugendlichen und deren Familien keine oder nur mangelnde Möglichkeiten zur Begleitung und Beratung ihrer traumatischen Erfahrungen bereitstehen. Bildungsinstitutionen können in dieser instabilen Situation ein gewisses Maß an Sicherheit und Routine sowie weitere Unterstützung bieten. Unterbrochene bzw. abgebrochene (Aus-)Bildungsbiographien bergen daher weitreichende Gefahren für die psychische Gesundheit der Betroffenen.

An wissenschaftlicher Expertise fehlt es nicht. Es ist an der Zeit, die Möglichkeiten zu schaffen, dass diese auch den Menschen zugutekommt, die in Österreich Schutz suchen.

Forderungen an politische Entscheidungsträger*innen:

•          Bildung und Ausbildung sind Grundlage für Teilhabe und Teilnahme an gesellschaftlichen Entwicklungen. Mit der Flucht wird nicht nur das Leben in einem vertrauten Umfeld aufgegeben, es gehen zudem zukünftige Mitgestaltungsmöglichkeiten verloren. Frühes (Wieder-)Eintauchen in qualitätsvolle, an Bedürfnisse angepasste institutionelle Bildung ist für die nachhaltige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen von zentraler Bedeutung und kann Bildungsungleichheiten entgegenwirken. Vor diesem Hintergrund muss das Ziel sein, inklusive und gleichwertige Bildung sowie lebenslange Lernmöglichkeiten für alle zu gewährleisten.

•          Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene müssen Zugang zu institutionalisierter Bildung in Europa, auch in Österreich, erhalten. Dies impliziert kontinuierliche, sprachsensible, informierte, traumasensible und hochqualitative (Aus-)Bildungsangebote. Dafür müssen Möglichkeiten einer gelingenden Neuorientierung unter Voraussetzung der gesellschaftlichen Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen berücksichtigt oder entsprechende Angebote einer erneuten Qualifizierung in geeigneter Weise ausgelotet und geschaffen werden (vgl. Netzwerk „Integration durch Qualifizierung“ in Deutschland). Es ist jedenfalls auch die Involvierung von professionellem pädagogischen Personal (wie etwa Lehrpersonen, Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen) mit relevanten sprachlichen Repertoires und migrationspädagogischen Kompetenzen zu gewährleisten. Institutionelle Unterstützung von Lehrer*innen mittels Supervision und Schulsozialarbeit muss ebenfalls gegeben sein.

•          Empirische Studien belegen, dass viele geflüchtete Schüler*innen, trotz gegenteiliger Zuschreibung, das Erlernen und Perfektionieren der deutschen Sprache in den Vordergrund stellen, um Zugang zu höherer Bildung und in den Arbeitsmarkt zu erhalten. Neben Deutschförderung ermöglicht ein professioneller und wertschätzender Umgang mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit eine umfassende Förderung aller sprachlichen Kenntnisse im Sozialzusammenhang der jeweiligen Klassen. Die Verankerung inklusiven sprachsensiblen Fachunterrichts und mehrsprachigkeitsdidaktischer Grundlagen in der Lehramtsausbildung für alle Unterrichtsfächer ist unabdingbar. Die Lehrenden an Universitäten und Pädagogischen Hochschulen sollten diese Kompetenzen als Teil ihrer Professionalität verstehen und ausbilden.

Wir sehen es daher nicht nur als Notwendigkeit, sondern auch als enormes Potential für die Zukunft unserer Gesellschaft an, (Aus- und Weiter-)Bildung für alle zu ermöglichen bzw. diese jedenfalls nicht von vornherein für bestimmte Personen zu verunmöglichen. Diese aus Menschen- und Kinderrechten abzuleitende Verpflichtung kommt letztlich nicht nur geflüchteten Personen zugute, sondern kann als Bedingung künftiger europäischer Prosperität angesehen werden.

Als Menschen, Europäer*innen, engagierte Zivilgesellschaft sowie als Forschende und Lehrende der Erziehungs- und Bildungswissenschaften an Universitäten, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen wollen wir nachhaltig dazu beizutragen, denjenigen Personen, die in Europa Schutz suchen, auf Grundlage der Menschen- und Kinderrechte als einzig denkbarer Maxime zu begegnen: solidarisch, respektvoll, wertschätzend und unter Achtung ihrer Würde.

DER OFFENE BRIEF KANN HIER UNTERSCHRIEBEN WERDEN!

Mit freundlichen Grüßen,

Die Initiator*innen

  • Ass.-Prof.in Dott.ssa Evi Agostini, PhD (Zentrum für Lehrer*innenbildung, Universität Wien)
  • Univ.-Prof.in i. R. Mag.a Dr.in Ines-Maria Breinbauer (Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)
  • Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Barbara Herzog-Punzenberger (Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung, Universität Innsbruck)
  • Univ.-Prof. Mag. Dr. Oliver Koenig (Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Sabine Krause (Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck)
  • Mag.a Dr.in Gertraud Kremsner (Zentrum für Lehrer*innenbildung, Universität Wien/Institut für Förderpädagogik, Universität Leipzig)
  • Lisa-Katharina Möhlen, BA MA (Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)
  • Tina Obermayr, BA (Zentrum für Lehrer*innenbildung, Universität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Hans Karl Peterlini (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, Universität Klagenfurt)
  • Mag.a Dr.in Verena Plutzar, MA (Netzwerk SprachenRechte; KPH Wien/Krems)
  • Ass. Prof.in Mag.a Dr.in Michelle Proyer (Zentrum für Lehrer*innenbildung, Universität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Henning Schluß (Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)
  • Mag. Dr. Alexander Schmölz (ÖIBF – Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung)
  • Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Susanne Schwab (Zentrum für Lehrer*innenbildung, Universität Wien)
  • Elvira Seitinger, BA (Zentrum für Lehrer*innenbildung, Universität Wien)
  • Dr.in Seyda Subasi Singh, BA MSc (Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)
  • Mag.a Dr.in Nadja Thoma (Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)

Die Erst-Unterzeichner*innen

  • Dr.in Edma Ajanovic (Department für Europapolitik und Demokratieforschung, Donau-Universität Krems)
  • Dr.in Carina Altreiter (Institut für Soziologie und Empirische Sozialforschung, WU Wien)
  • Assoz. Prof.in Mag.a Dr.in rer.nat. Pia Andreatta (Institut für Psychosoziale Intervention und Kommunikationsforschung, Universität Innsbruck)
  • Mag.a Prof.in Magdalena Angerer-Pitschko (Institut für Mehrsprachigkeit und Interkulturelle Bildung, PH Kärnten)
  • FH-Prof. Mag. Dr. Josef Bakic (Soziale Arbeit, FH Campus Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Ernst Berger (Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Med Uni Wien/Uni Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Gottfried Biewer (Institut für Bildungswissenschaft & Zentrum für Lehrer*innenbildung Universität Wien/HU Berlin)
  • Univ.-Prof.in i.R. Mag.a Dr.in Ines Maria Breinbauer (Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)
  • Assoz. Prof.in Dr.in Claudia Brunner (Zentrum Friedensforschung und Friedensbildung, Universität Klagenfurt)
  • HS-Prof. Dr. Tobias Buchner (Institut für Inklusive Bildung, PH Oberösterreich)
  • Prof.in Dr.in Brigitta Busch (Institut für Sprachwissenschaft, Universität Wien)
  • Ass.-Prof.in Dr.in Irene Cennamo (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, Universität Klagenfurt)
  • Univ.-Prof. Mag. Dr. Herwig Czech (Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, MedUni Wien)
  • Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Agnieszka Czejkowska (Arbeitsbereich Bildungstheorie und Schulforschung, Universität Graz)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Petra Dannecker (Institut für Internationale Entwicklung, Universität Wien)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Bettina Dausien (Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)
  • Univ.-Prof.in Dr.in İnci  Dirim (Institut für Germanistik, Universität Wien)
  • Post-Doc-Ass. Dr. Jasmin Donlic (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, Universität Klagenfurt)
  • FH-Prof.in Mag.a Dr.in habil. Susanne Dungs (Disability & Diversity Studies, FH Kärnten)
  • Mag.a Julia Fent (Music and Minorities Research Center, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien)
  • Dr. Ewald Feyerer (Institut für Inklusive Bildung, PH Oberösterreich)
  • Univ.-Prof. Dr. Jörg Flecker (Institut für Soziologie, Universität Wien)
  • Dr.in Maria Fürstaller (FH Campus Wien)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Barbara Gasteiger-Klicpera (Forschungszentrum für Inklusive Bildung, Universität Graz)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Ulrike Greiner (School of Education, Universität Salzburg)
  • Dr.in Birgitt Haller (Institut für Konfliktforschung, Wien)
  • Mag. Dr. BEd Prof. Rainer Hawlik (Institut für übergreifende Bildungsschwerpunkte, Kompetenzstelle Mehrsprachigkeit, Migration und Menschenrechtsbildung, PH Wien)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Ursula Hemetek (Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Thomas Hoffmann (Institut für Lehrer*innenbildung und Schulforschung, Universität Innsbruck)
  • Univ.-Prof. Dr. Stefan Hopmann (Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)
  • Prof.in Dr.in Andrea Holzinger (Institut für Elementar- und Primarpädagogik, PH Steiermark)
  • HS-Prof.in Mag.a Dr.in Tamara Katschnig (Institut Fortbildung, KPH Wien/Krems)
  • Univ.-Prof. Dr. Fares Kayali (Zentrum für Lehrer*innenbildung, Universität Wien)
  • Univ.-Prof. Mag. Dr. Oliver Koenig (Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten)
  • Dr.in Judith Kohlenberger (Institut für Sozialpolitik, Wirtschaftsuniversität Wien)
  • Univ.-Prof.in Mag.a PhD. Elke Krasny (Institut für das künstlerische Lehramt, Akademie der bildenden Künste Wien)
  • Mag.a Carla Küffner (Disability and Diversity Studies, FH Kärnten)  
  • Univ.-Prof.in Dr.in Iris Laner (Bildende Künste und Gestaltung, Mozarteum Salzburg)
  • Univ.-Prof. i.R. Dr. Dietmar Larcher (Universität Klagenfurt)
  • Univ.-Ass.in Daniela Lehner, MSc (Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung, Universität Klagenfurt)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Andrea Lehner-Hartmann (Institut für Praktische Theologie und Zentrum für Lehrer*innenbildung, Universität Wien)
  • Dr.in Jasamin Kashanipour, B.Sc. M.Ed. (Institut für Kultur- und Sozialanthropologie, Universität Wien)
  • Mag.a Dipl.-Päd.in Alexandra Madl (Fachstelle für Diversität und soziale Dimension in der Hochschulbildung, PH Tirol)
  • Mag.a Sabine Mandl (Ludwig Boltzmann Institut für Grund- und Menschenrechte)
  • MMag.a DDr.in Ursula Naue (Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien)
  • Assoc.-Prof. Dr. Andreas Oberprantacher (Universität Innsbruck, Institut für Philosophie)
  • Univ.-Prof. Dr. i. R. Klaus Ottomeyer (Universität Klagenfurt, Sigmund-Freud-Privat Universität Wien)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Lisa Pfahl (Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck)
  • Mag.a art. Dr.in phil. Sabine Prokop (Verband feministischer Wissenschaftlerinnen; Universität Wien)
  • Univ.-Prof. Dr. Johannes Reitinger (Zentrum für Lehrer*innenbildung/Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)
  • Dr.in Frauke Schacht (Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck)
  • Mag. Kurt Schmid (ibw Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft)
  • Mag. Dr. Alexander Schmölz (ÖIBF – Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung)
  • Univ.-Prof. Dr. Michael Schratz (Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung, Universität Innsbruck)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Susanne Schwab (Zentrum für Lehrer*innenbildung/Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)
  • Ass.-Prof. Mag. Dr. Hannes Schweiger (Institut für Germanistik, Universität Wien)
  • Univ.-Prof.in Mag.a Dr.in Annette Sprung (Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft, Universität Graz)
  • Josefine Wagner, Ph.D. (Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung, Universität Innsbruck)
  • Dr.in Angela Wegscheider (Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik, JKU Linz)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Heike Wendt (Institut für Bildungsforschung und Pädagog*innenbildung, Universität Graz)
  • Univ.-Prof.in i.R. Dr.in Ruth Wodak (Institut für Sprachwissenschaft, Universität Wien)
  • Univ.-Prof.in Dr.in Veronika Wöhrer (Institut für Bildungswissenschaft, Universität Wien)
  • HS-Prof. MMag. Dr. Daniel Wutti (Institut für Mehrsprachigkeit und Transkulturelle Bildung, PH Kärnten)
  • Univ.-Prof. Dr. Erol Yıldız (Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck)

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